Wirecard – an der Börse bereits Vergangenheit. Für viele Anleger und Kapitalmarktteilnehmer ein trauriges Kapitel – oft verbunden mit finanziellen Verlusten. Während Dr. Braun und Mitangeklagte in München in einem Strafverfahren „zur Sache“ befragt werden, laufen diverse zivilrechtliche Anstrengungen noch zu retten,was zu retten ist. Nachdem Versuche die BaFin oder andere Bundesbehörden in Haftung zu nehmen wohl gescheitert sind bzw. relativ geringe Erfolgsaussichten haben sollten, gibt es ja noch den langjährigen Wirtschaftsprüfer der Wirecard, der trotz zahlreicher öffentlich vorliegender Hinweise oder Vermutungen beinahe „bis zuletzt“ die Bilanzen mit Bestätigungsvermerk versehen hatte. Und viele Anleger und auch Kommentatoren vertrauten dem Wort der renommierten EY.
Und wer auf Verlusten sitzt, fragt sich vielleicht, ob und wenn ja wie lange überhaupt „was zu holen“ sein könnte. Themen genug, um eine versierte Anlegerschutzanwältin zu befragen – über Verjährung, Chancen, Möglichkeiten. RAin Silvia Volaric-Huppert von der Kanzlei Marzillier, Dr. Meier und Dr. Guntner RA GmbH begann unser Gespräch mit einer kurzen Zusammenfassung aktueller Vorgänge:
Volaric-Huppert: Die Wirtschaftsprüfungsaufsicht APAS verhängte in ihrer am Montag, 03.04.2023 bekannt gewordenen Entscheidung harte Strafen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY selbst und fünf ihrer Wirtschaftsprüfer. Die APAS sah es als erwiesen an, dass die EY ihre Berufspflichten als Wirtschaftsprüferin im Zusammenhang mit der Wirecard verletzt hat. So hat die APAS nun Geldbußen gegen EY als Konzern in Höhe von € 500.000,00 und außerdem gegen die fünf ihrer Wirtschaftsprüfer solche in Höhe zwischen € 23.000,00 bis € 300.000,00 verhängt. Weit bedeutender ist natürlich, dass die APAS gegenüber EY eine Sperre für zwei Jahre im Neugeschäft ausgesprochen hat.
Was bedeutet dies?
Volaric-Huppert: Die EY darf für zwei Jahre keine neuen Aufträge für die gesetzliche Prüfung von Bilanzen bedeutender Unternehmen mehr durchführen. Diese Sanktion wird die EY weit mehr treffen als die verhängten Geldbußen. Solche harten Sanktionsmaßnahmen gegen einen Wirtschaftsprüfer gab es in Deutschland bislang noch nicht.
Was war der Hintergrund der Entscheidung?
Volaric-Huppert: Die EY hat über 10 Jahre die Abschlüsse der Wirecard AG anstandslos testiert und damit einen wichtigen Beitrag geleistet, dass die Aktien des Unternehmens im Leitindex DAX notiert worden sind. Erst eine Reihe von investigativen Recherchen, vordergründig von der Financial Times brachte den Skandal um die Wirecard ins Rollen.
Was bedeutet die Entscheidung für die vor den Zivilgerichten anhängigen Schadensersatzklagen gegen die EY?
Volaric-Huppert: Die Entscheidung der APAS hat zwar keine rechtliche Bindungswirkung für diese Schadensersatzklagen, aber eine enorme Signalwirkung. Im Dezember letzten Jahres hat das Landgericht Stuttgart entschieden, dass dem Wirecard-Insolvenzverwalter, Herrn RA Jaffe, Einsicht in die Akten der Wirtschaftsprüfer EY zu gewähren ist. Auch diese Entscheidung zeigt die generelle Entwicklung der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Haftung eines Wirtschaftsprüfers.
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Wie war diese bislang?
Volaric-Huppert: Die Entscheidungen der Gerichte liefen weitgehend darauf hinaus, dass ein Wirtschaftsprüfer, der seine Pflichten verletzte, nur gegenüber der zu prüfenden Gesellschaft und der mit ihr verbundenen Unternehmen haftete. Dem geschädigten Anleger wurden keine Schadensersatzansprüche zugesprochen. Dieser ging leer aus. Auch bereits in dem Beschluss des 8. Zivilsenates des Oberlandesgerichts München vom 20.12.2021, in dem das Gericht die Durchführung eines KapMuG-Verfahrens gegen die EY aussprach, sieht man das Umdenken der Rechtsprechung.
Wie ist der Stand im KapMuG-Verfahren?
Volaric-Huppert: Inzwischen ist das KapMuG-Verfahren gestartet. Das Oberlandesgericht München hat am 13.03.2023 einen Musterkläger bestimmt. Dies ist der erste Schritt zur Durchführung des KapMuG-Verfahrens.
Können die Anleger den Ausgang des KapMuG-Verfahrens vor dem OLG München abwarten?
Volaric-Huppert: Nein. Es droht die Gefahr, dass die Schadensersatzansprüche der Wirecard-Anleger zum Jahresende, also zum 31.12.2023, verjähren. Um die Verjährung zu unterbrechen, müssen die Ansprüche im nun eröffneten Musterverfahren zumindest angemeldet werden.
Um Beteiligte/Beigeladener in dem Musterfeststellungsverfahren zu werden, ist es des Weiteren erforderlich, eine eigene Zivilklage gegen die EY einzureichen. Nur dann, so sieht es das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor, hat der Musterentscheid auch Bindungswirkung. Die einreichte Klage wird sodann bis zum Abschluss des Musterverfahrens ausgesetzt. Bei Einreichung der Klage fallen Gerichtskosten und eine Verfahrensgebühr an.
Ausgehend von einem Streitwert von beispielsweise eines Betrages in Höhe von € 100.000,00 belaufen sich die
- Gerichtskosten auf ca. € 3.000,-
- Das Honorar des Anwalts beträgt € 1.953,90 netto
Sofern der Musterentscheid erfolgreich ist, kann das Verfahren mit Aussicht auf Erfolg fortgeführt werden. Sofern der Musterentscheid für den Kläger ungünstig ist, würde die Klage zurückgezogen.
Und wenn der Anleger nicht „schlechtem Geld gutes hinterherwerfen will“ – also ihm die Gerichts- und Anwaltskosten mit nicht berechenbarem Ausgang zu hoch sind?
Volaric-Huppert: Im Übrigen eignet sich der vorliegende Fall vorzüglich für einen Prozessfinanzierer. Versierte Finanzierer sind in der Lage, das Risiko einschätzen zu können und bieten Unterstützung bei der Durchsetzung der Ansprüche an. Auch unsere Kanzlei kennt hier einige interessante Finanzierungsansätze.
Frau Rechtsanwälting Volaric, vielen Dank für das Interview.
RAin Silvia Volaric-Huppert ist vorrangig tätig im Anlegerschutz. Dort betreut Frau RAin Volaric-Huppert vor allem Mandate, bei denen Anleger Ansprüche aus Beteiligungen sowie aus Warentermingeschäften zustehen. Darüber hinaus war und ist Frau RAin Volaric-Huppert für Mandanten bei Fondsbeteiligungen erfolgreich tätig. Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht.
Kanzleiportrait:
Die Kanzlei Marzillier, Dr. Meier und Dr. Guntner Rechtsanwalts GmbH wird von den drei Namensgebern betrieben und ist im Anlegerschutz, Bankrecht, Börsenrecht und Kartellrecht tätig. Von RA Dr. Meier und RAin Volaric-Huppert werden komplexe Verfahren gemeinsam betreut.
EMAIL info@kanzleimmg.de
TELEFON + 49 (0)89/477022
Dies umfasst schwerpunktmäßig Angelegenheiten gegen deutsche Banken und Brokerhäuser in den USA und Großbritannien, worin sie in einer Vielzahl von Fällen hohe Millionenbeträge für ihre Mandanten zurückführten. Im Kartellrecht vertreten Sie Mandanten aus 30 europäischen Staaten. Die Kanzlei verfügt über langjährige Erfahrungen in der Prozessvertretung.
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